Das PROFIL der Montessori-Pädagogik und ihrer Einrichtungen

Prof. Dr. Hans Dietrich Raapke, Universität Oldenburg, und der Fachgruppe „Theorie“ der Dozentenkonferenz der deutschen Montessori-Vereinigung e.V., Stand 2003

 

LEITGEDANKEN:

1. Montessori-Pädagogik hat einen hohen Grad an Internationalität und vergleichbaren Qualitätsstandards.


2. Montessori-Pädagogik ist Friedenspädagogik über alle sozialen, religiösen und ethnischen Grenzen hinweg.


3. Montessori-Pädagogik fordert und fördert individuell Intelligenz und kreatives Problemlöseverhalten. Sie erzieht zu Selbständigkeit und Unabhängigkeit.


4. Die pädagogischen Einrichtungen müssen sich nach der Entwicklung der Kinder richten, weil sie sonst die Kinder (aus dem Blick) verlieren.


5. Nach Montessori-Prinzipien sind alle pädagogischen Einrichtungen „Erfahrungsschulen des sozialen Lebens“ und keine Buchschulen, wenngleich es dort viele Bücher gibt.


6. Einrichtungen der Montessori-Pädagogik sind für alle Kinder und Jugendlichen da: Lernschwache und Hochbegabte, Behinderte und Nichtbehinderte, Einheimische und Einwanderer, Arme und Reiche.


7. Montessori-Schulen sind Leistungsschulen, weil Kinder und Jugendliche etwas leisten wollen, wenn man ihnen viel an Anregungen bietet und sie selbstständig arbeiten lässt.


8. Montessori-Schulen halten auf allen Stufen dem Leistungsvergleich mit Regelschulen stand, oft schneiden sie besser ab.

1.  Verbreitung der Montessori-Pädagogik

Die Montessori-Pädagogik geht auf die italienische Ärztin und Pädagogin Maria Montessori (1870-1952) zurück. Sie hat dieses Konzept ursprünglich aus ihrer Tätigkeit als Ärztin und dann als Pädagogin kontinuierlich bis ins hohe Alter entwickelt und überprüft. In zahlreichen Ausbildungskursen hat sie interessierte Pädagoginnen und Pädagogen aus verschiedensten Ländern für ihre Ideen gewonnen. Einerseits ist diese Pädagogik auf große Zustimmung und vielfach Begeisterung gestoßen, andererseits begann auch schon früh der Streit über diese Erziehungsvorstellungen. Montessori selbst war vor allem nachdrücklich auf die Wahrung der von ihr aufgestellten pädagogischen Prinzipien und Standards bedacht.

Maria Montessoris in der Regel längerfristige Ausbildungskurse und viele Vortragsreisen in fast alle Kontinente sowie ihre Kontakte zu einflussreichen Persönlichkeiten haben zu einer weltweiten Verbreitung der Montessori-Pädagogik geführt. Wohl kein an die Ideen einer Person gebundenes pädagogisches Konzept ist international so weit verbreitet wie die Montessori-Pädagogik. Montessori-Gesellschaften in aller Welt arbeiten in der 1929 von Maria Montessori und ihrem Sohn Mario gegründeten „Association Montessori Internationale“ (AMI) , Sitz in Amsterdam, zusammen.

In Deutschland gibt es nach den Erhebungen deutscher Montessori-Vereinigungen zur Zeit (2002) etwa 950 vorschulische und schulische Einrichtungen der Montessori-Pädagogik. Davon sind gut die Hälfte Vorschuleinrichtungen (Kinderhäuser), von denen wiederum etwa ein Drittel (135) integrativ mit behinderten Kindern arbeitet. Von den ca. 250 Montessori- Grundschulen sind 58 integrative Einrichtungen. Außerdem werden Montessori- Hauptschulen, -Sonderschulen, -Gymnasien, -Realschulen und -Gesamtschulen sowie sonstige Einrichtungen genannt. Die jeweils höchste Zahl von Montessori-Einrichtungen findet sich in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Bayern. Die Montessori-Einrichtungen befinden sich teils in öffentlicher, teils in privater Trägerschaft. Finnland, Schweden und die Niederlande haben zum Beispiel vergleichsweise ein sehr viel dichteres Netz an anerkannten Montessori-Einrichtungen aller Stufen. Insgesamt handelt es sich bei den Montessori- Einrichtungen jedoch überwiegend um Vorschulen (Kinderhäuser) und Grundschulen („elementary schools“).

Die Pädagoginnen und Leitungskräfte an Montessori-Einrichtungen müssen eine besondere Ausbildung (ca. 300 Stunden) absolvieren, für die nach einer Prüfung ein Diplom erteilt wird. Dadurch sehen sich alle Montessorischulen ähnlich, sei es in Bangalore, Chicago oder Köln. Immer finden Kinder und Eltern gleiches didaktisches Basismaterial und ähnliche Grundmuster der Pädagogik vor. Das hat der Montessori-Pädagogik einen hohen Grad von Internationalität und vergleichbare Qualitätsstandards verschafft.

In Deutschland ist die Montessori-Pädagogik von den Nationalsozialisten ab 1933 verboten worden, in Italien sind die Montessori- Schulen nach einem kurzen Versuch Maria Montessoris, sie unter der faschistischen Regierung zu halten, 1934 geschlossen worden, in Spanien 1936 bei Ausbruch des Bürgerkrieges. In Russland hat es bis zur Diktatur Stalins Montessori-Einrichtungen und eine rege Diskussion gegeben. Länder der ehemaligen Sowjetunion machen jetzt ihren Nachholbedarf geltend, desgleichen zum Beispiel Polen, Tschechien und andere.

Die Montessori-Pädagogik wird in vielen Ländern von engagierten Pädagoginnen und Pädagogen weiterentwickelt und auf die sich ändernden gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnisse hin eingerichtet. Unverändert aber sind die von Maria Montessori aufgestellten pädagogischen Prinzipien und ihre Haltung gegenüber den Kindern, von deren Personalität und Würde sie tief überzeugt war.

Vgl. Schatz, Helga L.: Aktionsgemeinschaft Deutscher Montessori-Vereine e.V. In: Hansen- Schaberg, Inge/ Schonig, Bruno (Hg.): Montessori-Pädagogik, Basiswissen Pädagogik Bd.4, Hohengehren 2002: Ludwig, Harald/ Fischer, Christian/ Fischer, Reinhard (Hg.): Montessori- Pädagogik in Deutschland – 40 Jahre Montessori-Vereinigung e.V., Impulse der Reformpädagogik Bd.7, Münster 2002, S.11.

2.  Grundsätze und Ziele

Maria Montessori hat sich für ihre Pädagogik in Anknüpfung an alte Traditionen europäischer Anthropologie vor allem an der körperlich-geistig-psychischen Entwicklung und an den individuellen Lernbedürfnissen der Kinder orientiert. Das ist das grundsätzlich andere in der Montessori-Pädagogik gegenüber der Regelschule, die sich in der Hauptsache dem im staatlichen Lehrplan vorgegebenen inhaltlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag gegenüber der nachwachsenden Generation verpflichtet sieht. Maria Montessori hat wie kaum ein anderer Pädagoge auf die eigenen Kräfte des Kindes vertraut, auf seinen inneren Antrieb und Willen zu wachsen und „groß“ zu werden. Die Kinder werden deshalb weniger geführt, sondern von den Pädagoginnen und Pädagogen darin unterstützt, aus der Kraft ihrer eigenen Potenziale in die Gesellschaft hineinzuwachsen, ihren eigenen Weg zu finden und intelligente, leistungsfähige sowie kooperations- und hilfsbereite Menschen mit sicherem Selbstbewusstsein zu werden.

Einerseits muss also jedes einzelne Kind ebenso verständnisvoll wie auch genau beobachtet werden: Wie weit ist es in seiner Entwicklung? Welche Bedürfnisse hat es – offen oder verdeckt? Wohin zielen seine Aktivitäten? Welche Angebote oder Hilfen braucht es jetzt? Ist es zurückgeblieben, finden sich Störungen wie etwa Hyperaktivität, Dyslexie, oder ist es schon weit voraus und braucht Förderung seiner Hochbegabung? Zuerst kommt also – wie bei der Kinderärztin – die Diagnose. Einer der Grundsätze der Montessori-Pädagogik heißt somit: Folge dem Kind, achte auf die Zeichen, die dir seinen Weg zeigen.

Niemand kann jedoch annehmen, dass ein Kind allein, nur von sich aus den Weg in die Gesellschaft finden könnte. Dazu braucht es außer Intelligenz, Kenntnissen und Fertigkeiten auch Gemeinsinn, Bilder und Wertvorstellungen von dieser Welt. Es braucht Vorbild und Begleitung sowie Hilfe in einer pädagogisch vorbereiteten und geordneten Umgebung. Dort kann es Orientierungen finden, selbst seinen Weg zu gehen. Ein zweiter korrespondierender Grundsatz heißt deshalb: Hilf mir, es selbst zu tun.

In der Montessori-Pädagogik – und keineswegs nur dort – gilt der Grundsatz, dass ein Kind das am besten lernt, was es jetzt lernen möchte. Gelegenheit dazu bietet die „freie Arbeit“ (s. Abschnitt Didaktik). Der Wunsch etwas Bestimmtes zu lernen, entspringt seinem augen- blicklichen Entwicklungsstand und Interessenhorizont und markiert ihn zugleich. Vom Kind selbst, von innen her, kommt der Antrieb, sich mit der Außenwelt auseinander zu setzen, sich an ihr abzuarbeiten, vielleicht sie ein Stück weit zu beherrschen. Dem Kind muss darum Raum und Zeit gelassen werden, seine selbst gewählte Arbeit auch selbständig und in Ruhe zu Ende zu führen, damit es durch das Erreichte sich selbst („Selbstkompetenz“) und seine Leistungs- fähigkeit bestätigt fühlt.

Als Ziele stehen in der Montessori-Pädagogik von diesen Ausgangspunkten her nicht kanonisch fixierte inhaltliche Lernziele im Vordergrund, sondern – modern ausgedrückt –

„Schlüsselkompetenzen“ wie disponieren, sprachlich kommunizieren, kooperieren, selbstverständlich in Verbindung mit fachlichen Kompetenzen. Es geht um die allmähliche Einübung des „selbstregulierten Lernens“ in Verbindung mit dem Kompetenzerwerb. Den Kindern soll die Möglichkeit eröffnet werden, die Selbständigkeit, die von ihnen als Erwachsenen erwartet wird, schon frühzeitig einzuüben. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die sich Schritt um Schritt erweiternde Unabhängigkeit von den Erwachsenen und auch von anderen Kindern. Abhängigkeit von den Erwachsenen, die womöglich an den Kindern ihre eigenen Fehler korrigieren möchten, führt nach Montessori leicht zur Unterwürfigkeit und dem Anlehnungsbedürfnis an einen starken „Führer“. Zu den Zielen gehören auch die heute so genannten „Sozialkompetenzen“ in ihren vielfältigen Ausprägungen, die Bereitschaft zu helfen und Verantwortung zu übernehmen gegenüber Menschen wie für die Erhaltung und Pflege der Natur.

In der Konsequenz führt das zu dem Ziel, dass Montessori-Einrichtungen für alle Kinder offen sind: Lernschwache und Hochbegabte, Behinderte und Nichtbehinderte, Einheimische und Einwanderer, Arme und Reiche, und zwar ohne Rivalität und Selektion. Höchstes Ziel war für Maria Montessori, Kinder und Jugendliche heranwachsen zu sehen, die über alle ethnischen, nationalen und sozialen Grenzen hinweg Frieden in der Welt schaffen. Das war eine großartige Vision, die dennoch einen realistischen Kern hat: Jedes neugeborene Kind ist eine neue Chance zum Frieden.

Selbstverständlich ist auch die konkrete Leistung der Kinder und Jugendlichen auf jeder Stufe ihrer Entwicklung von großer Bedeutung: Beim Kleinkind ist es die Mithilfe in der häuslichen Umwelt, im Kinderhaus sind es die Übungen des praktischen Lebens und die Arbeit mit dem Sinnesmaterial zur Förderung der operativen Intelligenz; in der Schule die schnell wachsenden Herausforderungen und der fortschreitende Leistungsaufbau in der Mathematik sowie in der Beherrschung und dem Verständnis der Sprache; nicht zuletzt das höchst komplexe und umfängliche Unternehmen der „Erforschung von Natur und Kultur durch die Kinder und mit den Kindern“ in der Kosmischen Erziehung. Kosmische Erziehung hat mehrere Dimensionen: ökologisch, human-ethisch, politisch-sozial, religiös mit dem obersten Ziel des Friedens. Im Spätwerk hat Montessori ihre inhaltlichen Vorstellungen zum schulischen Lernen in einem auf die Entwicklung von Natur und Menschheit bezogenen „universalen Lehrplan“ zusammengefasst (s. auch unten in Abschnitt 7: „Schule des Kindes“).

In Schweden werden regelmäßig reichseinheitliche Leistungstest an allen Schulen durchgeführt. Dabei schneiden die Montessori-Schulen eher besser ab als der Durchschnitt; ausschlaggebend ist dafür zumal die größere Selbständigkeit der Schülerinnen und Schüler. Auch die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass es in vielen Montessori-Schulen gelingt, eine „Verbindung von Lust und Leistung“ zu erreichen, weil das Lernen Spaß macht, wenn es Erfolge bringt und Zufriedenheit nach sich zieht.

Vgl. Ludwig,, Harald (Hg.): Montessori-Pädagogik in der Diskussion – Aktuelle Forschungen und internationale Entwicklungen, Freiburg 1999. Vgl. dazu Montessoris berühmte Friedensrede in Genf (1932) in ihrer Schrift „Frieden und Erziehung“, Freiburg 1973; S.1-25; auch in „Die Macht der Schwachen“, Freiburg 1989, S.19-42. Eckert, Ela: Maria und Mario Montessoris Kosmische Erziehung – Vision und Konkretion, Bad Heilbrunn 2001, S.84 Vgl. Fischer, Reinhard/ Klein-Landeck, Michael/ Ludwig, Harald (Hg.): Die „Kosmische Erziehung“ Maria Montessoris, Reihe: Impulse der Reformpädagogik Bd.2, Münster 1999.

3.  Stufen der Entwicklung und Erziehung

Ähnlich wie Jean Piaget – der zeitweilig Vorsitzender der Schweizerischen Montessori- Gesellschaft war – und etwa zeitgleich mit anderen Entwicklungspsychologen hat Maria Montessori eine Stufentheorie der Entwicklung und dazu entsprechend der Erziehung aufgestellt. Sie hat dafür besonders ihre langfristig-kontinuierlichen Beobachtungen ausgewertet. Ein Charakteristikum ist , dass Montessori den einzelnen Stufen „sensible Phasen“ zuordnet. Mit diesem Begriff der sensiblen Phasen ist bei Montessori gemeint, dass es in der Entwicklung des Kindes Phasen, Perioden mit einer besonderen Empfänglichkeit, also Sensibilität für bestimmte Lernvorgänge und Umwelteinflüsse gibt. Diese Phasen – heute öfter auch als sich öffnende „Fenster“ bezeichnet – sind „Angebote der Natur“ (Heinrich Roth), jetzt und genau zu dieser Zeit besonders leicht bestimmte Lernerfahrungen zu machen und Fertigkeiten zu erwerben. Ein Musterbeispiel ist das Lernen der Sprache: Während einer frühen Reifephase kann das kleine Kind jede Sprache „absorbieren“, etwas später kann es neben der Muttersprache auch noch Fremdsprachen in seiner Umgebung wie von selbst lernen. Solche sensiblen Phasen gehen jedoch wieder vorbei, und das etwa zehnjährige Kind kann meistens nur noch durch methodische Anleitung im Unterricht eine fremde Sprache in allen ihren Facetten lernen.

Montessori und Piaget stimmten darin überein,

  • dass aus der Interaktion des Organismus mit der Umwelt (also aus der Wechselwirkung) Wachstum und Entwicklung des Menschen entstehen,
  • dass die Selbstregulierung / Selbstorganisation des Kindes einen wichtigen Teil des Erziehungsprozesses ausmacht,
  • dass die sorgfältige, unvoreingenommene Beobachtung des Kindes das wichtigste Mittel ist, um zu erkennen, welche Aspekte oder Teile oder Herausforderungen der Umwelt gerade jetzt für das Kind von entscheidender Wichtigkeit sind,
  • dass die eigene Aktivität des Kindes die Basis jeder wirksamen Erziehung

Den Stufen der Entwicklung hat Maria Montessori jeweils die entsprechenden Stufen der Erziehung und damit bestimmte pädagogische Einrichtungen zugeordnet. (s. Abschnitt 7)

Vgl. Raapke, Hans Dietrich: Montessori heute – Eine moderne Pädagogik für Familie, Kindergarten und Schule, Reinbek 2000, S.22.f. Vgl. Elkind, David: Zwei entwicklungspsychologische Ansätze: Piaget und Montessori. Psychologie des 20. Jahrhunderts, Bd. VII, Zürich 1978, S.584ff.

4.  Didaktik in der Montessori-Pädagogik

a.  Beobachtung ist konstitutiver Bestandteil und Bedingung der Didaktik.

Die offenen oder verdeckten Bedürfnisse des Kindes haben Vorrang vor den Plänen und Absichten der Pädagogin oder des Pädagogen. Montessori benutzt meistens die Bezeichnung „Leiterin“. Diese Bedürfnisse werden durch den Entwicklungs- und Reifestand sowie den bisherigen Lernprozess des je individuellen Kindes bestimmt. Die Beobachtung, die Diagnose kommt also in der Regel vor der Didaktik. Dazu bedarf es professioneller Beobachtungs- und Messverfahren ebenso wie persönlicher Zuwendung und Empathie.

b.  Im Kinderhaus und in der Grundschule / Primarschule wird die Didaktik zu einem großen Teil durch das didaktische Material repräsentiert.

Man spricht von einem „materialisierten Curriculum“. Das Begreifen im Gehirn soll über das Ergreifen mit den Händen und überhaupt mit allen Sinnen gelernt werden. Anfangs wird jede Schwierigkeit in einem Material isoliert, um im Gedächtnis klare Strukturen aufzubauen. Die Möglichkeit zur eigenen Fehlerkontrolle in jedem Material soll das Kind dazu führen, seine Fehler selbst zu erkennen, damit es später auch selbst seine Fehler bearbeiten kann.

Mit zunehmendem Schulalter und bei zunehmender Fähigkeit zur Abstraktion tritt das didaktische Material in den Hintergrund. Es kann jedoch z. B. bei Schwierigkeiten immer wieder darauf zurückgegriffen werden. Das didaktische Material hat einen bestimmten sachlogischen Aufbau, besonders deutlich in der Mathematik. Diesem Aufbau folgend wird das Material den Kindern präsentiert, in der Regel jedem Kind einzeln. In mindestens drei Schritten lernt das Kind das Material, seinen Zweck und den Umgang damit kennen. Danach sollte es allein mit dem Material weiterarbeiten können.

c.  Ein zentrales Prinzip der Montessori-Pädagogik ist die Freiarbeit.

Sie beginnt im Kinderhaus und auch schon früher. Für Montessori war die Freiarbeit eine grundlegende Lernform, die den unterschiedlichen Fähigkeiten und Interessen durch weit- gehende Individualisierung entspricht. Arbeit war für sie vor allem Arbeit an sich selbst als ein elementares Bedürfnis des Menschen, in diesem Sinne heute auch als Selbstverwirklichung bezeichnet. Die Freiarbeit wird zumeist durch gebundenen Unterricht in bestimmten Fächern ergänzt.

d.  Voraussetzung für die Freiarbeit ist die pädagogisch „vorbereitete Umgebung“.

Dazu gehört das gesamte nach pädagogisch-psychologischen Gesichtspunkten arrangierte Inventar und zunächst das Entwicklungsmaterial im Kinderhaus, aber schon dort beginnend das im engeren Sinne didaktische Material, das seine Schwerpunkt in der Schule hat. In diesem regelhaft pädagogisch vorstrukturierten Raum haben die Kinder einen relativ großen Freiheits-spielraum: Jedes Kind kann wählen

  • was und womit es arbeiten, sich beschäftigen will,
  • an welchem Platz es arbeiten will,
  • mit wem es arbeiten will,
  • wie lange es an einer Sache arbeiten will.

Dabei sind die Regeln einzuhalten, dass sich die Kinder darüber verständigen müssen, wer mit welchem Material wann arbeiten darf und dass niemand bei seiner Arbeit gestört werden darf.

Projektarbeit ist eine in ihrem Anspruch an die Schülerinnen und Schüler höhere aber auch noch mehr Initiative und Selbständigkeit fordernde Form der Freiarbeit. Hier kommt es auf die Bewältigung des gesamten Prozesses von der Ausgangsidee bis hin zu einem vorzeigbaren Arbeitsergebnis an.

e.  Altersmischung der Spiel- und Lerngruppen.

Die Altersmischung ist ein wichtiges Prinzip der Montessori-Didaktik, damit Kinder vermehrt voneinander und kooperativ lernen. In der Regel werden drei Altersjahrgänge entsprechend den im 3. Abschnitt beschriebenen Stufen der Entwicklung in einer Gruppe zusammengefasst. Andere Altersmischungen sind ebenfalls möglich.

Dazu Klein-Landeck, Michael: Freie Arbeit bei Maria Montessori und Peter Petersen, Reihe: Impulse der Reformpädagogik, Münster 1998, S.3ff und S.64ff: Dort auch eine gute Auswertung und Zusammenfassung der Publikationen von Albert Heller: Wie frei ist die Freie Arbeit? In: Montessori 32 (1994), H.2, und Christa Wedekind: Freiheitsgrade von Freiarbeitsformen. In: Montessori 33 (1995), H.3/4.

5.  Individuelle Entwicklungsdiagnosen und Leistungsbewertung

In der Montessori-Pädagogik hat die individuelle Entwicklung des Arbeits- und Leistungs- verhaltens der Schülerinnen und Schüler Vorrang vor dem Vergleich in der Gruppe oder Klasse. Darum wird für jedes Kind oder jeden Jugendlichen aufgrund kontinuierlicher Beobachtungen und der Dokumentation des Arbeitsprozesses, seiner Fortschritte oder auch Störungen ein Entwicklungs- und Leistungsprofil erstellt. Lehrkräfte und Eltern sowie gegebenenfalls auch andere Fachkräfte beraten in der Regel gemeinsam mit dem Schüler oder der Schülerin über den aktuellen Stand sowie die nächsten Schritte und Maßnahmen.

a.  Leistungsbewertung ist ein Teil des Lernprozesses.

Lernen und Leisten sind auch von den Beurteilungsformen abhängig. Es ist auf vielfache Erfahrung in Montessori-Schulen gestützt und es ist eine Erkenntnis der Lernpsychologie, dass Kinder und Jugendliche gewillt sind, viel zu leisten, wenn sie (in einem vorgegebenen weiten Rahmen) ihren Interessen und Bedürfnissen nachgehen können. Sie sind zu Leistungen motiviert, wenn sie Zusammenhänge erkennen können und ihnen nicht nur Einzelstücke vorgeführt werden, die sie dann abrufbereit halten müssen. Sie arbeiten zudem konzentrierter, wenn sie über ihre Zeit verfügen und mitbestimmen, wie lange sie an einer Arbeit bleiben können.

b.  Wer seine Leistung selbst bewerten soll, muss seine Fehler erkennen lernen.

Zu der Unabhängigkeit, die junge Menschen nach Montessoris Vorstellung erreichen sollten, gehört, dass sie lernen, ihre Leistungen selbst zu bewerten. Darum hat sie vor zu viel Lob und Tadel gewarnt, denn Lob kann Misserfolgsängstliche abhängig machen von der Zustimmung anderer und Tadel bessert selten. Die eigene Leistung einzuschätzen wird in der Montessori- Pädagogik schon früh geübt. Beim Sinnesmaterial ist jeweils die Möglichkeit der eigenen Fehlerkontrolle durch das Kind mit eingebaut. Auch auf allen weiteren Stufen und bei jedem Schritt soll und darf das Kind seine Fehler selbst entdecken, sie selbst bearbeiten und verbessern. Das Ziel ist: Die Lernenden kontrollieren ihre Arbeit selbst, sie korrigieren ihre Fehler und verbessern dabei sich selbst.

c.  Alle Menschen machen Fehler, aber sie wachsen auch an ihren Fehlern.

Montessori fand: Die Erkenntnis, dass wir Fehler machen und auch kontrollieren können, sei eine der großen Errungenschaften der psychischen Freiheit. Dagegen führten Zensuren und Bewertungen durch andere zu einer Verminderung der Energie und des Interesses. Auch von Konkurrenz oder Wettbewerb hielt sie nichts; früh gelernte Rivalität verschwinde nie wieder und bleibe ein Potenzial zum Unfrieden. In Gesellschaften, die vielen empirischen Ergebnissen zum Trotz an der Selektion durch „Sitzenbleiben“ oder „Zurückstufen“ sowie der Konkurrenz als unverzichtbar festhalten, können sich Montessori-Schulen einem solchen Druck schwerlich widersetzen und müssen Kompromisse eingehen.

6.  Religiöse Erziehung

Eine zentrale Stellung im Denken und in der Praxis Maria Montessoris nimmt die religiöse Erziehung ein. Sie findet ihre Basis in ihrer Anthropologie und in ihrem Verständnis der Welt als Schöpfung (s. „Kosmische Erziehung“). Montessori geht davon aus, dass Religion zu den fundamentalen Bedürfnissen des Menschen gehört. In diesem Zusammenhang meint „Religion“ sehr allgemein die Neigung und die Fähigkeit, über das Vorfindliche, materiell Greifbare hinaus nach Sinn und Wert der Welt und des Menschen, nach Gerechtigkeit und Vertrauen zu fragen und dabei offen zu sein für Transzendenz. Dieses Bedürfnis kann sich inhaltlich in vielen Religionen konkretisieren. Montessori gab allgemeine Hinweise für eine religiöse Erziehung. In Indien führte sie dazu einen Kursus für Angehörige unterschiedlicher Religionen durch. Sie selbst war katholische Christin. Bei religionspädagogischen Versuchen in Barcelona entwickelte sie ein Konzept, das die Kinder in die Praxis gelebten katholischen Glaubens einführt und einübt, vornehmlich in die Feier der Messe. Dafür entwickelte sie ein „Atrium“, einen Raum als „Vorhalle des Glaubens“, in dem Kinder diese religiöse Praxis erleben, nach-vollziehen und nach-denken konnten. Diese Erkenntnisse Montessoris sind in unsere Gegenwart fortzuschreiben. Einmal geht es um das Grundverständnis von „Religion“. Hier stellt sich die Aufgabe, die Fähigkeit zum mehrdimensionalen Empfinden und Denken zu fördern, etwa durch eine qualifizierte Symbolerziehung. Zum anderen muss die Praxis der religiöse Erziehung neu bedacht werden: Viele junge Menschen erleben die von Montessori noch vorausgesetzte Einheit geprägter Religiosität im Raum der Kirche nicht mehr. Wir leben in einer offenen, multireligiösen Gesellschaft. Vielleicht braucht unsere Zeit ein „Atrium“, das allen Kindern die Möglichkeit gibt, sich in die mitgebrachte, aber auch in andere Religionen einzuleben und eigene Ausdrucksformen zu finden.

Die Bedeutung Montessoris für heutige religiöse Erziehung liegt in der Sensibilisierung Heranwachsender für die Tiefendimension der Wirklichkeit und in der konsequent lebensweltlichen Ausrichtung. Dazu tragen die Prinzipien ihrer allgemeinen Pädagogik bei. Eine wichtige Rolle spielt hierfür ferner die Stilleerziehung Montessoris. Das kontemplative Element ist in ihrer Pädagogik für alle Entwicklungsstufen neben dem Aktivitätsprinzip von großer Bedeutung. Im einzelnen sind unterschiedliche Ansätze religiöser Erziehung im Anschluss an Montessoris Pädagogik entwickelt worden.

Vgl. Ludwig, Harald/ Fischer, Christian/ Fischer, Reinhard (Hg.): Leistungserziehung und Montessori-Pädagogik, Reihe: Impulse der Reformpädagogik Bd.5, Münster 2000. Vgl. u.a. „PISA 2000 – Basiskompetenzen … im internationalen Vergleich“, Opladen 2000, sowie „Die Länder der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich“, Opladen 2002. Vgl. besonders beim Ländervergleich Abschn.2.4: Regionale Unterschiede in der Bildungsbeteiligung, S.49ff. Vgl. dazu Montessori, Maria: Gott und das Kind, Kleine Schriften Bd.4, 3. Aufl., Freibrug 1995. Vgl. hierzu Kabus, Andrea: Zur Rezeption der Montessori-Pädagogik in der Religionspädagogik, Würzburg 2001.

7.  Pädagogische Einrichtungen

Die 1. Phase der Entwicklung und Erziehung umfasst das (Entwicklungs-) Alter 0-6 Jahre. Sie wird in zwei Teilphasen unterteilt: 0-3 Jahre und 3-6 Jahre. Nach Montessoris Auffassung, aber auch nach heutigem Forschungsstand werden beim Kleinkind die Fähigkeiten zur Bewegung, Wahrnehmung, Sprache, Sozialität usw. grundlegend aufgebaut. Durch eine besonders aufnahmeintensive, unbewusste Intelligenz – „absorbierender Geist“- entstehen nachhaltige psychische und geistige Strukturen, deren Aufbau besonderer pädagogischer Aufmerksamkeit bedarf.

Familie/ Kinderkrippe/ Spielgruppe (0-3 Jahre)

Der wichtigste Ort für das Aufwachsen und die Erziehung des ganz kleinen Kindes war für Montessori und ist nach wie vor die Familie. Hier soll es Pflege und emotionale Zuwendung finden, aber auch hinreichende Gelegenheit zur „Welterfahrung“ gemeinsam mit den Erwachsenen. Montessori hat gewarnt, das Kind „zum Gefangenen des Kinderzimmers“ zu machen. Nach Montessoris Rückkehr aus Indien wurden erste „Kinderkrippen“ nach Montessori- Prinzipien für Kleinstkinder von etwa 1 Jahr an eingerichtet. Das Interesse an der Frühförderung und die Zahl solcher Einrichtungen nimmt schnell zu. Neuerdings bilden sich vermehrt Montessori-Spielgruppen, in denen sich Eltern mit ihren Kindern ein- oder zweimal wöchentlich treffen, um die Kinder zu fördern und ihnen soziale Erfahrungen zu ermöglichen.

In Familie, Kinderkrippe und Spielgruppe stehen im Vordergrund:

  • Beobachten und Fördern der Bewegungen des Kleinkindes: Hand, Gleichgewicht,
  • Pflege einer emotional stützenden, helfenden und Sicherheit gebenden Atmosphäre.
  • Schaffen einer ständigen und Anreize zu Tätigkeiten liefernden Umgebung mit Deren äußere Ordnung soll die (erwartete) vom Kind selbst zu schaffende innere Ordnung prägen; sie soll zum Erkennen von Beziehungen führen.
  • Intensive Sprachförderung durch viel Sprechen und Singen (auch mehrsprachig) korrespondierend zum Hören des Kindes und Zuhören der
  • Koordination von Bewegung, Orientierung und Sprache

Didaktik: „Übungen des praktischen Lebens“ , Bewegungsspiele und -übungen zur Förderung der Grob- und Feinmotorik, Sprach- und Singspiele, viel Erzählen, Vorlesen usw., Körperkontakte und Sprache als Ausdrucksmittel emotionaler Zuwendung.

Durch Aktivität und Reaktivität der unbewussten Intelligenz („absorbierender Geist“) bei Erfahrungen und Auseinandersetzungen mit der Umgebung entwickeln sich grundlegende und weiterführende Potenzialitäten. Die spezifische Qualität dieser Umgebung hat dabei eine entscheidende Bedeutung.

Die Bezeichnung „Krippe“ für eine Tagesstätte für Kleinstkinder unter drei Jahren ist weit verbreitet. Deshalb wird sie trotz ihrer Problematik hier verwandt. Manchmal spricht man auch von „Krabbelstuben“.

„Kinderhaus“ (3-6 Jahre)

In dieser Entwicklungs- und Reifephase wandelt sich allmählich die unbewusste Rezeption und Intelligenz zur bewussten und operativen Intelligenz vor allem durch aktives Handeln. Das Kinderhaus (italien. „casa dei bambini“) ist eine vorschulische Einrichtung und steht in Analogie zum Kindergarten. Das Kinderhaus hat in der Montessori-Pädagogik die längste Tradition (seit 1907) und den größten Verbreitungsgrad. In Kinderhäusern wie grundsätzlich in allen Montessori-Einrichtungen wird der Integration von behinderten Kindern und Jugendlichen eine hohe Bedeutung beigemessen. Die individuellen Lern- und Arbeitswege der Kinder haben sich dafür in besonderer Weise als geeignet erwiesen. In Verbindung von Kinder- und Jugendmedizin und Montessori-Pädagogik ist ein Ausbildungs-zweig für Montessori-Heilpädagogik konzipiert worden, der sich vom Kinderzentrum München aus in eine Reihe von vor allem osteuropäischen, aber auch asiatischen Ländern ausgebreitet hat. (Internationale Akademie für Entwicklungs- Rehabilitation/ München)

Im Kinderhaus stehen im Vordergrund:

  • „Sinnesmaterialien“ als Entwicklungsmaterialien zur Übung (und Funktionsprüfung) aller Sinne und zugleich als „Schlüssel zur Welt“. Bisher erworbene unbewusste Umwelteindrücke sollen in bewusstes Arbeiten überführt werden, und zwar vom Greifen zum Begreifen bis hin zu grundlegenden Ordnungs- und Strukturbegriffen der raum-zeitlichen Umwelt: groß-klein; lang-kurz; laut-leise; rau-glatt; warm-kalt
  • Analyse, Vervollkommnung und Anreicherung bisher absorbierter Errungenschaften: Grob- und Feinmotorik, Sprache, Sinneswahrnehmung
  • Religiöse Erziehung bei Offenheit für verschiedene religiöse Überzeugungen und
  • Kulturelle Aktivitäten (malen, zeichnen, formen, bauen, musikalische und rhythmische Übungen )
  • Spielen in vielen Varianten Anfänge der Mathematik, des Schreibens und
  • Übungen der Bewegung und der Stille als Konzentrationsübungen Erweiterung der Übungen des praktischen

Didaktik repräsentiert sich hier inhaltlich im wesentlichen in der „vorbereiteten Umgebung“. Die pädagogischen Interventionen konzentrieren sich auf die Einführung in den Gebrauch und den Zweck der einzelnen Materialien und zwar in der Regel für jedes Kind gesondert. Im Kinderhaus sollen sich die unbewussten, „absorbierten“ Eindrücke der frühen Kindheit durch zunehmend selbständige Aktivitäten der Kinder zum bewussten Arbeiten entwickeln, der Aktionsradius soll sich erweitern können. Hinzu kommt die Eingewöhnung in erweiterte soziale Bezüge in der Gruppe (lockere, situationsbedingte Gruppenbildung: Kohäsion). Kinderhaus und Schule stehen bei Montessori in engem institutionellen Zusammenhang. Im Idealfall (vgl. die achtjährige Basisschool in den Niederlanden) gibt es einen kontinuierlichen Bildungsgang vom 3. bis zum 12. Lebensjahr.

Vgl. Steenberg, Ulrich: Montessori-Pädagogik im Kindergarten, Freiburg 2002. „Schule des Kindes“: Grundschule/ Primarschule (6- 12 Jahre)

Die „Schule des Kindes“ ist nicht die Schule für das Kind. Die Kinder dieser Stufe sind nach Montessori ebenso wie nach Kenntnis heutiger Entwicklungspsychologen besonders wissbegierig; ihre „hungrige Intelligenz“ brauche reichlich „Futter“. Sie wollen alles wissen über diese Welt, und sie sind nun in der Lage, sich jenseits ihrer konkreten Wahrnehmung zusammen-hängende Vorstellungsbilder von der Welt und ihren Teilen zu schaffen. Die Intelligenzentwicklung geht in diesem Alter somit im wesentlichen zwei Wege: Zur Abstraktionsfähigkeit und zur Einbildungs- / Vorstellungskraft. Hier wird „der Keim zur Wissenschaft“ gelegt. Oft werden nach Montessoris Auffassung die Kinder dieses Alters jedoch unterfordert oder falsch gefordert. Im Vordergrund steht in dieser Stufe der Erwerb solider Basiskompetenzen im Lesen, Schreiben und in der Mathematik sowie in der naturwissenschaftlichen, kulturellen, sozialen und politischen Elementarbildung. Als Leitidee für die Schule des Kindes in dieser Entwicklungs-stufe gilt nach Montessori die „Kosmische Erziehung“. Der Begriff ist in der Fachsprache weithin unbekannt. Bei der „Kosmischen Erziehung“ geht es

  • um die Vorstellung von einem nach den Naturgesetzen geordneten Universum, das von Gott geschaffen und dem Menschen zur Arbeit daran und zur Vollendung überantwortet wird. Es geht um die Stellung des Menschen in der Welt sowie um die Einsicht des Menschen in die gegenseitigen Abhängigkeiten aller Phänomene der Natur;
  • um die „kosmische Aufgabe“ des Menschen, das uns Anvertraute zu bewahren, zu erhalten und es weiterzubauen; den Heranwachsenden zu helfen, allmählich einen eigenen Anteil an Verantwortung für sich selbst und diese Welt zu übernehmen.

Von daher ist die Kosmische Erziehung – trotz vieler inhaltlicher Gemeinsamkeiten – nicht identisch mit dem Sachunterricht in der Grundschule. Jedoch ist die Nähe zu den heutigen Vorstellungen der Ökologie-Bewegung unverkennbar; Montessori hat im Kontext der Kosmischen Erziehung selbst den Ökologie-Begriff verwendet. In der Praxis müssen oft Kompromisse geschlossen werden. Insbesondere müssen Montessori- Schulen sich curricular insoweit dem Regelschulwesen anpassen, dass für die Schülerinnen und Schüler jederzeit ein Übergang zu einer Regelschule möglich ist.

Didaktik:

  • Intensive Sprachbildung in den unterschiedlichen Ausdrucks- und Rezeptionsformen: Erzählen, lesen, schreiben, singen, reimen, Theater ..
  • Mathematische Grundbildung als Denken in mathematischen Strukturen und Modellen neben Fertigkeiten des Rechnens
  • „Universaler Lehrplan“ – Das ist in der Montessori-Praxis eine nach menschlichen Grundfähigkeiten (sprechen, schreiben, lesen, rechnen ), menschlichen Bedürfnissen (Nahrung, Kleidung, Wohnung, spirituelle Bedürfnisse, Religionen usw.) sowie nach Sachgebieten (Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Geologie, Geschichte, Kunst usw.) strukturierte Themenübersicht, aus der die Schülerinnen und Schüler einzeln oder in Gruppen, in der Regel mit Hilfen, ihre jeweiligen Arbeitsvorhaben auswählen.
  • Erzählen (z.B. „Cosmic tales“) und Zeigen in der Realität anstelle von Begriffen in Büchern, selbst erforschen statt nur rezipieren, um zu reproduzieren.
  • Ganzheitlicher, fächerübergreifender Unterricht, Vielfalt der Methoden, Öffnung der Schule in Natur und
  • Jedes Kind geht seinen individuellen Weg, was Gruppenarbeit keineswegs ausschließt, denn Kinder können von Fall zu Fall einzeln oder in Gruppen
  • Die Lerngruppen sind altersgemischt, in der Regel 3 Jahrgänge gemeinsam, aber auch 2 oder 4 Jahrgänge.
  • Gesundheitserziehung einschließlich Suchtprävention
  • Enge Verbindung von praktischer und theoretischer Arbeit mit viel forschendem Lernen an anderen Lernorten als der
  • Selbständigkeit, selbst organisiertes Lernen, Kooperation im Team, soziale

Die „Schule des Kindes“ soll mit einem großen, weit gefächerten Angebot auf den Wissensdurst sowie die Forscher- und Abenteuerneugier der Kinder eingehen. Die Kinder sollen ihren geistigen, sozialen und kulturellen Aktionsradius erweitern können. Mit der Ausweitung des Weltbildes soll der Übergang zur Abstraktion vollzogen werden können. In der vorbereiteten Umgebung – modern: der Lernkultur – der Schule wie in den Schritten nach draußen kann soziales und moralisches Bewusstsein entstehen und mit der besonderen Sensibilität dieses Alters für Gerechtigkeit können Kinder die Fähigkeit entwickeln, eigenes und fremdes Handeln zu beurteilen.

Vgl. Montessori, Maria: „Kosmische Erziehung“, 5. Aufl., Freiburg 2002 sowie die oben in Anmerkung 4 und 5 genannten Werke.

„Erdkinder – Erfahrungsschule des sozialen Lebens“ – (12-18 Jahre)

Montessoris „Erdkinderplan“ ist ein Plan zur Reform der Sekundarstufe. Er fällt in ein (Entwicklungs-)Alter im „Übergang von der Mentalität des Kindes – das innerhalb der Familie lebt – zur Mentalität des Erwachsenen, der in der Gesellschaft leben muss“. Es sei das „eine besonders empfindliche Periode“ (landläufig: Pubertät), in der die jungen Menschen gleicher- maßen zu fördern und zu schützen seien. Das Konzept „Erdkinderplan“ beschreibt in einer Lebensform auf dem Land ein „Studien- und Arbeitszentrum“ bestehend aus

  • Bauernhof als Stätte der Produktion,
  • Handelsgeschäft als   Stätte   des   Vertriebs,   des   Warenaustausches   und   der Kommunikation,
  • Gästehaus als Dienstleistungs- und

Diese Einrichtungen sollen gemeinsam von Jugendlichen und Erwachsenen mit dem Ziel der wirtschaftlichen Unabhängigkeit geführt werden. Zum Gesamtkonzept gehört ferner

  • das Rahmenprogramm für eine

Diese „Erfahrungsschule des sozialen Lebens“ hat Ähnlichkeiten mit den Landerziehungsheimen und Produktionsschulen jener Zeit. Die Möglichkeit für die Jugendlichen, selbst Geld zu verdienen, soll nach Montessoris Vorstellung ihre soziale Unabhängigkeit stärken. Weil die Jugendlichen durch die Arbeit auf dem Land und mit der Erde von den Ursprüngen her in die Kultur eindringen, spricht Montessori in ihrem Konzept von „Erdkindern“. Diese werden aber zudem – ganz modern – in die fundamentalen Mechanismen der Ökonomie: Produktion und Warenaustausch eingeführt. „Die Arbeit mit der Erde ist der Zutritt zum unbegrenzten Studienweg der Naturwissenschaft und Geschichte“. Entscheidend ist die Vermittlung der Realität des Lebens auf der Basis sozialer Grunderfahrungen.

Der Studien- und Arbeitsplan – ein Rahmenplan für die weiterführende Schule – umfasst drei große Bereiche: „Moralische Pflege, Leibespflege, Programm und Methoden“.

Zur Grundschulpädagogik Montessoris vgl. Stein, Barbara: Theorie und Praxis der Montessori-Grundschule, Freiburg 1998 sowie neuerdings: Ludwig, Harald: Montessori- Schulen und ihre Didaktik, Baltmannsweiler 2003 Der „Erdkinderplan“ ist abgedruckt in: Montessori, Maria: Von der Kindheit zur Jugend, Freiburg 1966, und in: „Kosmische Erziehung“, 5. Aufl., Freiburg 2002. Daraus die folgenden Zitate. Vgl. ferner: Raapke, Hans- Dietrich: Montessoris Erdkinderplan zur Reform der Sekundarstufe – Ein Kommentar (2.erw. Aufl.) Oldenburg 1998.

„Moralische Pflege“: Darunter versteht Montessori die Pflege der Beziehungen zwischen den Jugendlichen, ihren Lehrern und der Umgebung (modern gesagt: Kommunikation und Pflege der Sozialkompetenzen). Von den Lehrkräften erwartet Montessori, den Jugendlichen gegenüber Achtung zu wahren, nie ihre Würde zu verletzen und sie keinesfalls wie Kinder zu behandeln. Die Jugendlichen brauchten genügend Freiheit für individuelle Initiativen, die freilich bestimmten Regeln unterworfen seien. Auch hier also das Montessori-Prinzip: Kinder und Jugendliche arbeiten in freier Initiative, aber nach expliziten oder immanenten Regeln. Wichtig: Dem Bedürfnis junger Menschen nach Einsamkeit und Ruhe muss entsprochen werden.

Der „Leibespflege“ widmet die Ärztin Montessori besondere Aufmerksamkeit. Wegen des vehementen körperlichen Wachstums der Jugendlichen – mit seinen psychischen Komponenten – sei medizinische Betreuung geboten. Auf die Ernährung und weit mehr sportliche Betätigung müsse geachtet werden; auch zur Suchtprävention gegen Alkohol und Tabak hat Montessori damals schon Überlegungen angestellt.

„Programm und Methoden“ zielt am meisten auf schulischen Unterricht und zwar in drei Richtungen:

  • Erstens möchte Montessori den „persönlichen Ausdruck“ der Jugendlichen öffnen und fördern B. durch Musik, Sprache (Theater, Rhetorik) und bildnerisches Arbeiten (zeichnen, malen formen).
  • Zweitens geht es um den Aufbau der Personalität, um Antwort auf „die schöpferischen Elemente des psychischen Seins“. Ein Eckpunkt dafür ist die moralische Erziehung, die beiden anderen Eckpunkte sind Mathematik und Sprachen. Montessori spricht von der „vitalen Bedeutung der Mathematik“, aber auch wie sehr die „Sprachentwicklung ein Teil der Personalität selbst“ sei.
  • Drittens: „Umfassende Bildung“ durch das Studium der Erde und der lebendigen Natur – das ist eine Weiterführung der Kosmischen Erziehung – mit Geologie, Biologie, Kosmographie, Botanik, Zoologie, Physiologie, Astrologie und Anatomie. In der Geschichte der Menschheit sollen die Bilder des sozialen Lebens sowie die Entdeckungen und Erfindungen Schlüsselerfahrungen vermitteln, wie es in der heutigen Didaktik heißt. Im übrigen wurde der Kontakt zwischen den verschiedenen Völkern und Kulturen von Montessori besonders akzentuiert.

Die „Erfahrungsschule des sozialen Lebens“ sollte nach Montessoris Willen eine Schule für alle sein. Für die Vorgehensweise gilt: „Die besten Methoden sind diejenigen, die beim Schüler ein Maximum an Interesse hervorrufen, die ihm die Möglichkeit geben, allein zu arbeiten, selbst seine Erfahrungen zu machen und die erlauben, die Studien mit dem praktischen Leben abzuwechseln.“

In Deutschland hat die Umsetzung der Montessori-Pädagogik in der weiterführenden Schule erst in den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren einen intensiveren Aufschwung genommen. Zur Zeit gibt es vier Gesamtschulen und vier Gymnasien, die sich in ihrer Arbeit ausschließlich auf die Pädagogik Maria Montessoris beziehen und zumindest Teile ihrer Erfahrungsschule des sozialen Lebens umsetzen. In Nordrhein Westfalen und in Bayern kommen dazu noch ungefähr fünfzehn Haupt- bzw. Volksschulen, teilweise in privater Trägerschaft. Daneben existieren jedoch noch eine ganze Reihe von weiterführenden Schulen, die entweder Montessori-Zweige, – Klassen oder auch nur Elemente ihrer Pädagogik, wie z.B. Freiarbeit, in ihr Schulkonzept aufgenommen haben. All diesen Schulen gemeinsam ist, dass sie die Selbsttätigkeit und Eigenverantwortung des Schülers mit dem Ziel der Persönlichkeitsbildung in den Mittelpunkt stellen. Das bedeutet vor allem, dass Freiarbeit als didaktisches Prinzip, aber auch Projekt- oder projektorientiertes Lernen und auch Handwerk regelmäßig – möglichst täglich – durchgeführt werden. Oft ist jedoch trotzdem der Bereich der „Studien“ dominant, weitere Elemente einer Erfahrungsschule des sozialen Lebens, wie oben dargestellt, fehlen. Die Entwicklung der Montessori-Pädagogik in der weiterführenden Schule schreitet kontinuierlich voran.